Meterhoch türmen sich Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über die Ahr in Altenahr-Kreuzberg.

Debatte um Rolle von Lewentz

Wären Evakuierungen in der Flutnacht möglich und sinnvoll gewesen?

Stand

Der Präsident des Landesfeuerwehrverbands geht davon aus, dass eine Evakuierung des Ahrtals in der Flutnacht zu mehr Toten geführt hätte. Er verteidigt damit den in der Kritik stehenden Innenminister Lewentz. Andere Experten sehen das nicht so.

Nach den überraschend aufgetauchten Polizeivideos aus der Ahr-Flutnacht will der Präsident des Landesfeuerwehrverbandes in Koblenz, Frank Hachemer, nach eigenen Worten "Feuer aus der Debatte um die Rolle von Innenminister Roger Lewentz" (SPD) nehmen. Eine damalige Evakuierung des gesamten Ahrtals hätte wegen überlasteter Straßen und einer möglichen Massenpanik noch zu weitaus mehr Todesfällen führen können, sagt Hachemer.

Hachemer: Bei Evakuierung möglicherweise mehr als 1.000 Tote

Wäre wirklich am Flutabend das gesamte Ahrtal evakuiert worden, hätte es nach Hachemers Einschätzung mehr als 1.000 Tote geben können: "Das Tal ist an vielen Stellen eng. Es gibt nur eine begrenzte Zahl von Zufahrtswegen, auf denen auch schon Helfer entgegenkamen. Wenn da Zehntausende auf einmal fliehen wollen, kommt es zwangsläufig zu Staus. Da wäre die Flut einfach darüber gerauscht, wie wir an den Straßenzerstörungen gesehen haben - mit tödlichen Folgen."

CDU greift Hachemer scharf an

Die CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag wirft Hachemer nun Parteilichkeit vor. Der Abgeordnete Dirk Herber erklärte, Hachemer schlage sich auf die Seite des Innenministers. Das sei eine Beleidigung für jeden Feuerwehrmann und jede Feuerwehrfrau, so der Obmann der CDU im Landtags-Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe.

Andere Experten verweisen darauf, dass zumindest am unteren Lauf der Ahr noch Menschen hätten evakuiert werden können. Der Hamburger Krisen- und Katastrophenschutzexperte Andreas Hermann Karsten, auf den sich auch die CDU im Mainzer Landtag beruft, widerspricht Hachemer zum Teil: "Folgende Faktoren begünstigen die Entstehung einer Panik: räumliche Enge, Aussichtslosigkeit, extremer Zeitdruck. Keines dieser Kriterien lag im unteren Teil des Ahrtals zum Zeitpunkt der Videoaufnahmen vor." Weiter flussaufwärts etwa im Dorf Schuld sei es schon anders gewesen: "Hier ist fraglich, ob eine Evakuierung, als die Ahr anschwoll, noch sinnvoll gewesen wäre."

Hachemer wirbt für differenzierte Beurteilung

Hachemer sagt außerdem: "Die einseitige Beschäftigung mit den Hubschrauber-Videoaufnahmen verschleiert die komplexe Lage in der Flutnacht. Da werbe ich für Differenziertheit." Lewentz habe sich ja offensichtlich durchaus um Informationen bemüht und auch die Technische Einsatzleitung des Kreises Ahrweiler am frühen Abend der Flutnacht aufgesucht. Im Untersuchungsausschuss hatte Lewentz gesagt, er habe in der Flutnacht kein vollständiges Lagebild gehabt.

Mainz

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Krisenexperte: Land verdichtete vorhandene Infos nicht zu einem Lagebild

Der Krisenexperte Ralph Thiele aus dem Raum Andernach hält dem entgegen, der Behauptung unklarer Informationen stünden die damaligen zahlreichen Warnungen gegenüber, "die von den Landesdienststellen nicht zu einem ganzheitlichen Lagebild verdichtet wurden". Damit hätten auch die kommunalen Verantwortlichen sie nicht für eine rasche Hilfe erhalten. "Die Hubschrauber-Videoaufnahmen belegen das erschreckende Ausmaß der Katastrophe zu einem Zeitpunkt, der noch eine Warnung und auch eine Evakuierung der späteren Opfer zuließ", so Thiele.

Unterbrochene Kommunikationswege in der Flutnacht

Hachemer verweist auch auf die vielen unterbrochenen Kommunikationswege in der Flutnacht inklusive weggeschwemmter Pegel. "In der Flutnacht wurden nach meinen Informationen über die Landesgrenzen hinaus Helikopter angefragt. Aber viele waren nicht startbereit oder hatten keine Seilwinde zur Rettung von Menschen."

Zu den Möglichkeiten, die Bevölkerung zu warnen, sagt Hachemer weiter: "Es gibt aktuell keine Warnungen, die die ganze Bevölkerung in einer Region erreichen." Nicht alle Bürger hätten Handy-Warnapps.

"Lautsprecherwagen hören nicht alle, zum Beispiel bei dreifach verglasten Schlafzimmerfenstern. Sirenentöne können nicht alle richtig interpretieren. Und Senioren gehen bei Sirenengeheul vielleicht wie im Weltkrieg in den Keller, was bei einer Flut ganz falsch ist."

Bei der Sturzflut im Juli 2021 kamen mindestens 134 Menschen ums Leben. Im Raum steht der Vorwurf, dass Politik und Behörden bei der Rettung von Opfern teils zu spät und zu wenig abgestimmt gehandelt haben könnten. Damit beschäftigen sich auch ein Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags und die Staatsanwaltschaft Koblenz.

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