Einer SWR-Umfrage zufolge wollen von 600 ehrenamtlichen Bürgermeistern etwa ein Drittel nicht mehr zur Kommunalwahl 2024 antreten.

SWR-Umfrage unter Bürgermeistern

Ortsbürgermeister in RLP sind unzufrieden mit Finanzlage - zu Recht?

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Gernot Ludwig

Zur Kommunalwahl 2024 wollen einer SWR-Umfrage zufolge viele ehrenamtliche Bürgermeister nicht nochmal antreten. Die meisten begründen das mit den Finanzproblemen der Kommunen. Warum ist das so?

Nach einer Reform des Finanzierungsmodells für die Kommunen bekommen die Städte, Kreise und Gemeinden in diesem Jahr so viel Geld wie noch nie. Es sind insgesamt rund 3,8 Milliarden Euro. Das sind etwa 360 Millionen Euro mehr als im vergangenen Jahr. Außerdem ist das Land dabei, den Kommunen etwa drei Milliarden Euro an Schulden abzunehmen. Warum Bürgermeisterinnen und Bürgermeister trotzdem nicht zufrieden sind, erläutern wir hier:

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Warum klagen Bürgermeister weiter über die Finanzlage?

Die Frage ist, ob die Gemeinden wirklich mehr Geld in der Kasse haben. Der Gemeinde- und Städtebund (GStB) sagt: Das zusätzliche Geld, das die Kommunen 2023 bekommen haben, sei vor allem an die Städte und Kreise gegangen. Die Ortsgemeinden hätten gar nicht so viel mehr bekommen.

Und das, was sie mehr bekommen, werde von den enorm gestiegenen Ausgaben komplett aufgefressen, so der Verband. Beispiele seien die Mehrausgaben für Strom, Gas und Öl oder höhere Personalausgaben nach dem Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst. Laut GStB liegen die Mehrkosten beim Personal für 2023 bei 109 Millionen und für 2024 bei rund 240 Millionen Euro. Als weitere Beispiele nennt der Verband stark gestiegen Beförderungskosten für Bus- und Bahnfahren sowie deutlich gestiegene Flüchtlingsausgaben.

Das alles führt laut Gemeinde- und Städtebund dazu, dass die Ortsgemeinden unterm Strich immer weniger Geld in der Kasse hätten.

Profitieren die Kommunen nicht vom Entschuldungsprogramm des Landes?

Der Gemeinde- und Städtebund weist zunächst einmal darauf hin, dass das Entschuldungsprogramm erst mal umgesetzt werden muss. Heißt: Die Kommunen kriegen die Entschuldung erst im Lauf des kommenden Jahres zu spüren. Dann kommt hinzu, dass der Effekt der Entschuldung bei weitem nicht so spürbar ist, wie es die meisten aus dem privaten Bereich kennen.

Wer privat einen Kredit aufnimmt, muss diesen Kredit monatlich tilgen und er muss monatlich Zinsen zahlen. Wenn dann jemand einen Teil des Kredits übernimmt, muss der Betroffene dadurch weniger Tilgung und weniger Zinsen zahlen. Bei den Krediten der Kommunen ist das aber anders.

Wenn hier das Land einen Teil der Schulden übernimmt, profitiert die Kommune erstmal kaum davon. Denn die Kommunen zahlen in der Regel bis zum Ende der Kredit-Laufzeit monatlich ausschließlich Zinsen, der Kredit selbst wird erst am Schluss getilgt. Nimmt das Land einer Kommune nun ein Teil ihrer Schulden ab, sinken zwar auch die Zinsen, es hat aber kaum Auswirkungen auf den Finanzhaushalt der Kommune. Die Zinsen sind aufgrund der abgeschlossenen Kreditverträge derzeit sowieso relativ niedrig.

Heißt im Klartext: Die Zinsersparnis reicht oftmals nicht aus, um die vielen gestiegenen Ausgaben zu decken.

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Was können die Kommunen tun, wenn das Geld nicht reicht?

Die meisten Kommunen haben im Wesentlichen nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie erhöhen ihre Einnahmen, in dem sie die Steuern erhöhen - also Grundsteuer und Gewerbesteuer. Oder sie machen wieder neue Schulden. Das geht aber nicht mehr so einfach wie bisher. Deshalb bleiben oft nur die Steuererhöhungen. Und das erzeugt wohl bei vielen Bürgermeistern Frust, wie man hört.

Aus deren Sicht ist es nämlich so, dass sie den Bürgern deutlich mehr Steuern abverlangen müssen, ohne ihnen auch mehr bieten zu können. Es ginge immer nur darum, einen ausgeglichenen Haushalt hinzukriegen, kritisieren sie. Um in einen Ort Spielplätze zu bauen, das Schwimmbad zu sanieren oder das Gemeindehaus aus oder neu zu bauen, bleibe oft kein Geld mehr. Und das frustriere zunehmend die Gemeinderäte, aber auch die Bürgermeister.

Warum ist die gesetzliche Regelung für einen ausgeglichenen Haushalt in den Kommunen umstritten?

Die Gemeinden dürfen nicht mehr Geld ausgeben als sie einnehmen. Diese Regel gibt es schon seit Jahrzehnten. Das Problem ist aber: Die Kommunalaufsicht des Landes hat beide Augen zugedrückt und über Jahre hinweg Haushalte auch dann genehmigt, wenn sie nicht ausgeglichen waren.

Der Rechnungshof und auch andere Kommunalexperten wie zum Beispiel von der Bertelsmann-Stiftung haben diese Praxis immer wieder kritisiert, denn das Verhalten der Kommunalaufsicht hat mit dazu beigetragen, dass in den Städten, Kreisen und Gemeinden im Lauf der Jahre immer mehr Schulden aufgetürmt wurden.

Die Kommunen haben sich daran gewöhnt und beklagen jetzt, wie zum Beispiel der aus Frust zurückgetretene Bürgermeister aus Freisbach, dass unausgeglichene Haushalte bisher nie ein Problem waren.

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Warum dürfen die Kommunen keine neuen Schulden machen?

Das liegt am neuen Finanzierungsmodell, das die Landesregierung nach einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs auf den Weg bringen musste. Es hat dazu geführt, dass die Kommunen in diesem Jahr insgesamt rund 360 Millionen Euro mehr als im vergangenen Jahr bekommen. Gleichzeitig nimmt das Land den Kommunen im kommenden Jahr Schulden von insgesamt rund 3 Milliarden Euro ab.

Die strengere Kommunalaufsicht soll verhindern, dass die Städte, Kreise und Gemeinden trotz des zusätzlichen Geldes und der Entschuldung nicht wieder neue Schulden aufbauen. Heißt im Klartext: Den Kommunen wird jetzt stärker auf die Finger geschaut, um sie zu einer soliden Haushaltspolitik zu zwingen.

Müssen die Kommunen auch dann Steuern erhöhen, wenn sie genug Geld haben?

Der Landesrechnungshof hat ausgerechnet, dass die Kommunen in Rheinland-Pfalz über Jahre hinweg, weniger Grundsteuern und Gewerbesteuern verlangt haben, als der Durchschnitt der Kommunen in den restlichen Bundesländern. In der Folge hat das Land entschieden, dass die Städte und Gemeinden im Land ab diesem Jahr einheitlich einen bestimmten Hebesatz sowohl für die Grundsteuer, als auch für die Gewerbesteuer verlangen sollen – den so genannten Nivellierungssatz.

Bei der Grundsteuer B, die Hausbesitzer und Mieter zahlen müssen, liegt der Hebesatz bei 465 Prozent. Bei der Gewerbesteuer beträgt er 380 Prozent. Städte und Gemeinden sind grundsätzlich nicht gezwungen, ihre Hebesetze entsprechend zu erhöhen. Tun sie das nicht, erhalten sie im komplizierten Finanzierungsmodell für die Kommunen allerdings weniger Zuweisungen.

Insofern stimmt es nicht, dass Kommunen mit einem ausgeglichenen Haushalt ihre Steuern erhöhen müssen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie andernfalls finanzielle Nachteile in Kauf nehmen müssen.

Nach einer Auswertung des Statistischen Landesamtes liegen von den insgesamt rund 2.300 Städten und Gemeinden mehr als 400 Kommunen beim Hebesatz für die Grundsteuer B unterhalb des Nivellierungssatzes. Davon liegt die Hälfte sogar 100 Prozentpunkte und mehr unter dem Satz.

Gibt es Kommunen, die höhere Steuern verlangen als vom Land empfohlen?

Das kommt vor, wenn eine Kommune trotz der empfohlenen Hebesätze bei Grund- und Gewerbesteuer immer noch keinen ausgeglichenen Haushalt hat. In den meisten Fällen bleibt den betroffenen Kommunen dann gar keine andere Möglichkeit, als die Steuern noch weiter zu erhöhen. Denn die Kommunalaufsicht des Landes genehmigt Haushalte grundsätzlich erst dann, wenn sie ausgeglichen sind.

Nach einer Auswertung des Statistischen Landesamtes rechnen von den insgesamt rund 2.300 Städten und Gemeinden rund 25 Prozent mit einem Grundsteuer-B-Hebesatz oberhalb des Nivellierungssatzes von 465 Prozent. Bei rund 40 Kommunen liegt der Hebesatz sogar zwischen 600 und 750 Prozent. In Kerzenheim im Donnersbergkreis liegt der Hebesatz mit 1.000 Prozent landesweit am höchsten.

Was bedeuten die Erhöhungen der Grundsteuerhebesätze für Hausbesitzer?

Es geht um die Grundsteuer B. Wie hoch sie für den einzelnen Eigentümer ausfällt, hängt neben dem Hebesatz unter anderem davon ab, wo sich das Haus befindet und um welche Art Haus es sich handelt (Einfamilienhaus, Mehrfamilienhaus). Pauschale Aussagen zu Mehrkosten durch Hebesatzsteigerung sind deshalb nicht möglich.

Der Gemeinde- und Städtebund hat die Mehrkosten für den SWR anhand von Beispielen berechnet. Und zwar für die drei Gemeinden, die dem Statistischen Landesamt zufolge in diesem Jahr die Grundsteuer B am deutlichsten erhöht haben. In der Ortsgemeinde Kerzenheim im Donnersbergkreis ist die Grundsteuer für Mieter und Hausbesitzer um 580 Punkte gestiegen, in der Ortsgemeinde Horath im Hunsrück um 365 und in der Ortsgemeinde Etschberg in der Westpfalz um 260 Prozentpunkte.

Für Besitzer eines Einfamilienhauses in Kerzenheim führt die Erhöhung des Hebesatzes um 580 Prozentpunkte zu Mehrkosten von 435 Euro pro Jahr. Im Klartext: Wem ein Einfamilienhaus in Kerzenheim gehört, muss künftig 435 Euro im Jahr mehr bezahlen. In der Ortsgemeinde Horath im Hunsrück führt die Erhöhung des Grundsteuer Hebesatzes um 365 Prozentpunkte dazu, dass Besitzer eines Einfamilienhauses pro Jahr rund 274 Euro mehr zahlen müssen. In der Ortsgemeine Etschberg in der Westpfalz müssen Besitzer eines Einfamilienhauses nach der Erhöhung des Hebesatzes um 260 Prozentpunkte 195 Euro pro Jahr mehr bezahlen.

Bei der Berechnung wurde jeweils ein durchschnittlicher Grundsteuermessbetrag von 75 Euro angenommen. Bei Mietwohnungen legen die Eigentümer die Kosten um. Deshalb wird es auch für Mieter teurer.

Die Erhöhungen haben nichts mit der derzeit laufenden Grundsteuerreform zu tun. Diese kann in Einzelfällen zu einem weiteren Anstieg der Grundsteuerbelastung führen.  

Gibt es eine Aussicht, dass das Finanzierungsmodell angepasst wird?

Das Gesetz zum Finanzierungsmodell (LFAG) sieht eine grundlegende Begutachtung (Evaluation) erst für 2026 vor. Allerdings steht in dem Gesetz auch, dass bei außerordentlichen Entwicklungen eine Überprüfung vorgezogen werden kann. Eine solche außerordentliche Entwicklung sehen die Kommunalverbände zum Beispiel in den deutlich gestiegenen Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen und den gestiegenen Löhnen der Beschäftigten in den Kommunen nach dem Tarifabschluss im Frühjahr.

Darüber hinaus regelt das Gesetz, dass unabhängig von der Evaluation eine sogenannte Finanzausgleichskommission mindestens einmal im Jahr erörtert, ob das Gesetz angepasst werden muss. Die Kommission könnte zum Beispiel, die gestiegenen Kosten für Strom, Gas und Öl durch eine Anpassung der Inflationsrate im Finanzierungsmodell ausgleichen.

Nach Einschätzung des Landesrechnungshofs und auch des GStB ist die bislang berücksichtigte Inflationsrate von Anfang an zu niedrig. Beide Einrichtungen fordern, bei der Berechnung der Geldüberweisungen an die Kommunen eine höhere Inflationsrate zu berücksichtigen. 

Bei der Hauptversammlung des Landkreistags hatte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) angekündigt, die Finanzausgleichskommission werde im Frühjahr 2023 zusammenkommen. Die Experten würden dann die Entwicklungen dieses Jahres anschauen und bewerten. Ob und in welchem Umfang das Land danach bereit ist, das Finanzierungsmodell anzupassen und den Kommunen mehr Geld zu geben, ist offen. 

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