Buchkritik

Florian Illies – Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten

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AUTOR/IN
Wolfgang Schneider

Zauber der Anekdote: Florian Illies widmet sich mit Witz und Einfühlung dem Leben und dem Werk des Romantikers Caspar David Friedrich. Und erzählt die wechselvolle, verblüffende, bisweilen erschütternde Geschichte seine Werke bis heute.

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Florian Illies liebt Einfühlung und Emphase. In seinen Büchern simuliert er den direkten Zugang zu den Wahrnehmungen, Emotionen und Gedanken der Künstler und Schriftsteller. So, wenn er zu Beginn von „Zauber der Stille“ von der Segelbootfahrt von Rügen nach Stralsund erzählt, die Caspar David Friedrich 1818 mit seiner frisch angetrauten Frau Line unternahm:

„Fast einen ganzen Tag dauert ihre Segelfahrt durch das glitzernde Wasser des Boddens, das mal dunkelblau leuchtet und mal türkis, Friedrich kann nicht genug davon bekommen, er saugt alles auf mit seinen Maleraugen, die Boote, die Taue, den Mast, das knatternde Segel. (…) Genau diesen Moment muss ich malen, denkt er voll innerem Feuer; vielleicht, vielleicht bin ich gerade das erste Mal in meinem Leben wirklich glücklich, meine Hand in der ihren.“

Solche Anempfindeleien, halb erfunden, halb auf autobiographischen Schriften oder Briefen basierend, können zudringlich oder kitschig wirken, erst recht wenn Illies dabei – wie in seinem letzten, aus lauter Vignetten zusammengesetzten Buch über die „Liebe in den Zeiten des Hasses“ zwischen 1929 und 1939 – in flotter Allwissenheit zwischen zahlreichen Künstler- und Autoren-Seelen hin und her springt.  

Bei Caspar David Friedrich wirkt es zum Glück weniger anmaßend, weil Illies hier eben nur diesen einen rätselhaften, einzelgängerischen Künstler zu fassen sucht, der heute als bedeutendster der Romantik gilt. Die Fokussierung tut dem Buch gut, das ansonsten nach der erfolgreichen Illies-Methode gestrickt ist: eine mosaikhafte Sammlung von Momentaufnahmen, Anekdoten, Skizzen und reflektierenden Abschnitten, die dieses eine Gravitationszentrum haben: Caspar David Friedrich und die wechselvolle, verblüffende, bisweilen erschütternde Geschichte seine Werke von 1774 bis heute.

Die vier Kapitel sind benannt nach den Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft. Wasser und Luft liegen schon deshalb nahe, weil der geborene Greifswalder so viele grandiose Darstellungen von seiner geliebten Ostsee, von offenen Himmeln und Wolken geschaffen hat. Feuer bezieht sich vor allem auf die vielen Brände, die ein ums andere Mal seine Werke vernichteten, etwa das Feuer des Münchner Glaspalasts 1931, wo gerade eine große Schau romantischer Malerei stattfand. Des Weiteren: Schlossbrände, Bombenangriffe und andere Kriegsverwüstungen. Und der Brand von Friedrichs Greifswalder Geburtshaus im Jahr 1901:

„Dass zu den ‚brennbaren Stoffen‘ im Oberschoss des Hintergebäudes auch neun Gemälde Friedrichs aus altem Familienbesitz gehören, das ist nicht festgehalten worden. Um 1901 ist der Künstler in Deutschland komplett vergessen, in fast keinem Museum hängt ein Bild von ihm und auch in seiner pommerschen Familie gilt er nur noch als der skurrile malende Vorfahr.“

Es folgte die triumphale Wiederentdeckung – und bald darauf leider auch die Inanspruchnahme durch die Nationalsozialisten, die Friedrichs Werke als nordisch-germanische „Küstenkunst“ priesen. Auch wenn die tiefe Melancholie seiner Bildwelt unvereinbar ist mit der aktivistischen Nazi-Ideologie, sieht Illies doch ein paar Anknüpfungspunkte:

„Ja, Friedrich ist ein Nationalist, ein Patriot, und er offenbart das auf seinen Leinwänden. Es ist genau das, was Goethe als „neudeutsch, religiös-patriotisch“ verspottet. Aber Friedrich ist es ernst, bitterernst damit… Als 1813 die Befreiungskriege beginnen, da bebt Friedrich vor nationaler Aufwallung.“

Weil Friedrich seine Bilder nie signiert hat, wurden sogar einige seiner berühmtesten Gemälde lange nicht als seine Werke erkannt. Etwa die „Kreidefelsen auf Rügen“, die als vermeintliches Werk von Carl Blechen zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in einem Berliner Kinderzimmer hingen, über dem Bett eines Mädchens, das selbst mit Bildern berühmt werden sollte: der späteren Fotografin Gisèle Freund.

Solche verblüffenden Zusammenhänge zaubert Illies hervor wie der Magier die Kaninchen aus dem Hut. Ob Walt Disneys „Bambi“-Trickfilm, ob Leni Riefenstahls Bergfilme, Nosferatu oder sogar Becketts „Warten auf Godot“ – überall ist Caspar David Friedrich im Spiel. Der Maler selbst suchte die Nähe zu Goethe, wollte von ihm anerkannt und geliebt werden. Bis sich Goethe von Friedrichs Bildzusendungen regelrecht belästigt fühlte und meinte, diese trübsinnigen, vernebelten Gemälde müsste man zerschießen oder am Tisch zerschlagen. Klassische Gewalt gegen die Romantik. 

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Michael Köhler diskutiert mit
Prof. Dr. Johannes Grave, Kunsthistoriker, Universität Jena,
Prof. Dr. Achatz von Müller, Historiker, Universität Basel
Dr. Kia Vahland, Meinungsredakteurin der Süddeutsche Zeitung und Sachbuchautorin

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Wie der Kunsthistoriker Werner Busch sieht Illies die Bilder Friedrichs nicht als realistische Darstellungen, sondern als beinahe moderne Collagen aus naturgetreuen Vorlagen. Meist gibt es eine vorgängige abstrakte Form, eine geometrische Ordnung, der die Landschaften unterworfen werden: romantische Mathematik. Besonders deutlich wird die untergründige Abstraktion bei den verkanteten Eisplatten des kühnen Gemäldes „Das Eismeer“.

Auch wenn Friedrichs Werke etwas Metaphysisches ohne konkrete Glaubensinhalte vermitteln – frömmelnde Kunstbetrachtung liegt Florian Illies ganz fern; da erzählt er lieber noch eine scherzhafte Anekdote:

„Caspar David Friedrich mag als Maler ja bedeutend gewesen sein, wirklich revolutionär ist er jedoch als Züchter von Kanarienvögeln. Denn lang bevor der kleine gelbe Vogel sich in Deutschland verbreitet, vertieft sich Friedrich bereits in die Details der Aufzucht und der Säuberung von Volieren.“

Aber dann weiß Illies nicht, dass Kanarien-„Hecke“ ein altes Wort für Kanarien-Zucht ist und blödelt darüber, dass Friedrichs Vögel in einer „Hecke“ vor dem Haus leben würden. Ergiebiger sind die Diebstähle von Friedrich-Gemälden in jüngerer Zeit – kurioser Erzählstoff, den Illies über viele Seiten genüsslich ausbreitet.

Zu empfehlen ist ein überaus beziehungsreiches, sehr unterhaltsam zu lesendes Buch, das zu weiterer Beschäftigung mit Caspar David Friedrich und seinen Kontexten anregt.  

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