Ausgezeichnet mit dem Golden Globe als bester nicht-englischsprachiger Film und ausgezeichnet mit dem Oscar für das beste Originaldrehbuch: In ihrem vierten Spielfilm seziert die französische Regisseurin Justine Triet eine Ehe zwischen einer erfolgreichen Schriftstellerin und ihrem erfolglosen Ehemann. Hauptdarstellerin Sandra Hüller ist für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert.
Sezierung von Fakten
Anatomie - dieser Begriff im Titel ist nicht zufällig gewählt: Das Konzept der Anatomie hat mit der Forensik zu tun. Die Idee ist, Fakten so zu sezieren, dass am Ende eine gewisse Form der Objektivität herauskommt. Der hier verhandelte Fall scheint einfach zu sein. Eine hervorragende Sandra Hüller spielt eine erfolgreiche Schriftstellerin, die sich auf autobiografische Werke spezialisiert hat.
Unfall oder Selbstmord?
Zu Beginn gibt die Schriftstellerin ein Interview und erweist sich hier als kühle, kalkulierende, ein bisschen arrogante, sehr selbstbewusste Person. Sie lebt mit ihrem Ehemann, einem erfolglosen Schriftsteller zusammen, der seine Frustration aggressiv nach außen trägt. Sie haben einen Sohn, der nach einen Unfall ein stark beeinträchtigtes Sehvermögen hat.
Kurz nach dem besagten Interview stürzt der Ehemann vom zweiten Stock des Hauses tödlich ab. Ein Unfall? Im Prinzip könnte es sich auch um Selbstmord handeln, aber es besteht ebenfalls die Hypothese eines Mordes.
„Szenen einer Ehe" von Igmar Bergmann blitzen auf
Die Schriftstellerin wird unter Mordverdacht gestellt, angeklagt und muss sich vor Gericht verantworten. Der einzige wichtige Zeuge in diesem Fall ist das Kind, das tief in die dunklen Seiten des Lebens seiner Eltern eintauchen muss.
Obwohl sich etwa anderthalb Stunden des Films auf den Prozess konzentrieren, besteht der Clou von Regisseurin Justine Triet darin, das juristische Instrumentarium zu nutzen, um eine Anatomie des Paares in Rückblicken zu vollziehen. Das erinnert an Ingmar Bergmanns Melodrama „Szenen einer Ehe". Triet bringt der Film eine Nominierung für den prestigeträchtigen Regie-Oscar ein.
Chronik der dunklen Seiten einer Ehe
Während des Gerichts-Prozesses werden die Spannungen in der Ehe deutlich, die Eifersucht des Ehemanns. Der Sohn war dabei und hat alles gehört, aber nichts gewusst. Der Film ist keine Suche nach der Wahrheit der Tatsachen, sondern eine Chronik der Geheimnisse der Ehe.
Ebenso ist der Film eine Reflexion über den Schmerz, der mit der Erinnerung an dunkle Ereignisse verbunden ist. Ein Film, der ebenso wie die hypothetischen Selbstfindungsromane der Protagonistin davon erzählt, wie sich die Realität in Fiktion verwandelt, in subjektive, perspektivische Deutungen.
Gut geölte Erzählmaschine
Einwenden lässt sich, dass die Regisseurin eine im Kino schon tausendmal benutzte, etwas zu gut geölte Erzählmaschine anwirft. Zum Teil wirkt der Film recht konstruiert und erinnert an die Struktur eines Fernseh-Dreiteilers.
Ein paar Erzähltricks scheinen allzu offensichtlich als Werkzeug zur Lösung des Falles zu fungieren. Mit zweieinhalb Stunden ist „Anatomie eines Falls" vielleicht etwas zu lang für die erzählerische Substanz, die der Stoff enthält.
Trailer „Anatomie eines Falls“, ab 2.11. im Kino
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